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  • Von Wellen, Strömen und Krisen

    Metaphern in den Massenmedien

    „Wussten Sie das? Im Zuge der europäischen Flüchtlingskrise sind mehr als 300 Menschen aufgrund von Terror gestorben.“

    Plakate mit diesem Slogan waren letztes Jahr überall in Ungarn zu lesen. Im Zuge des Referendums zur europäischen Flüchtlingspolitik wurde auf rechts­populistische Wortwahl gesetzt, um für ein „Nein“ zu werben. In dem Referendum ging es um die Frage, ob Ungarn dem Quotenplan der europäischen Union zur Umverteilung von Geflüchteten zustimmen sollte.

    Doch jene Wortwahl ist nicht nur bei „Fidész“, der ungarischen Regierungspartei, zu beobachten. „Flücht­lingskrise“, „Flüchtlingsströme“, „Flüchtlings­welle“ – diese Wendungen werden von den meisten pub­likumsstarken Medien in ganz Europa benutzt und sind von vielen Menschen in den täglichen Sprachgebrauch übernommen worden.

    Dabei handelt es sich nicht um neutrale, beschreibende Worte, sondern um Metaphern, die mit schrecklichen Szenarien, zum Beispiel mit Naturkatastrophen, assoziiert wer­den. Individuen werden in einen Topf geworfen, der dann kräftig umgerührt wird, damit eine möglichst homogene Masse entsteht. Rezipierenden wird somit ein Einheitsbrei vorgesetzt, der das Individuum weder wahrnimmt, noch hervorhebt.
    Menschen in Deutsch­land, die Geflüchtete anfeinden, beschreiben Europa oder Deutsch­land oft als „unser Boot“. Dem Literaturwissenschaftler und Diskursforscher Jürgen Link zufolge ist der Begriff „Flut“ eine Art, die wahrgenommene Bedrohung die­ses Bootes zu kodieren: Wenn „Gegner ohne Subjektstatus“ mit den Fluten identifiziert werden, statt mit einem feindlichen Boot, wirken sie besonders angsteinflößend. Es gibt „die Flüchtlinge“ nicht, das heißt der wahrgenommene Gegner hat in diesem Fall kein Gesicht.

    Margret und Siegfried Jäger, beide aus der Sprachwissenschaft, schreiben in „Die vierte Gewalt – Rassismus und die Medien“: „Die Medien schaffen nicht den alltäglichen Rassismus, […] [s]ie nehmen alltägliches Denken auf, spitzen es zu und reproduzieren solche Haltungen von Tag zu Tag immer wieder aufs Neue.“
    Selbst das Wort „Flüchtling“ ist problematisch in dem Sinne, dass es negative Konnotationen hervorruft, und somit Menschen, die mit diesem Wort beschrieben werden, als etwas Negatives erscheinen lässt. „Feig­ling“, „Fiesling“, „Rohling“ – Wörter mit dem Suffix „-ling“ beschreiben häufig etwas Negatives. Auch „Liebling“ oder „Lehr­ling“ lässt die Personen schwach und passiv erscheinen.

    Doch warum benutzen viele Redaktionen diese Wörter trotzdem? Marcel Machill, Journalistik-Professor an der Universität Leipzig, sieht den Grund dafür in fehlender kritischer Reflexion: Journalisten ließen sich „viel zu leicht vor den Karren einer bestimmten Kommunikationsabsicht spannen, wenn sie Begriffe wie „Flüchtlingswelle” verwenden. Derartige Begriffe werden oft von politischen Entscheidungsträgern geschaffen, um damit bestimmte politische Botschaften zu transportieren. Hier soll­ten Jour­nalisten sehr sensibel sein und selbst­kritisch prüfen, welche Kon­notationen die von ihnen benutzten Wörter haben. Das macht manch­mal Mühe – ist aber für einen neutralen Journalismus unumgänglich.“

     

    Foto: mz

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